Am Anfang war der Muttertag ein Tag der Trauer, zumindest des liebevollen Gedenkens an die verstorbene Mutter, in Deutschland ab 1922/23.
Das zeigt die aktuelle Archivalie des Monats. Am 10. Mai 1924 finden wir im Mühlhäuser Anzeiger ein Gedicht betitelt mit „Der toten Mutter Ehrentag", in Klammern wird erläutert „Zum deutschen Muttertag". Signatur im Kreisarchiv: P 70.
Im Gedicht beschreibt ein Ich-Erzähler, wie er auf einem Friedhof ein Kind beobachtet. Das Kind sucht ein Grab auf und leidet sichtlich. Der Erzähler erfährt vom Kind, um wen es trauert.
"Vom Kindlein mußte ich erfahren,
Daß man im Land an einem Tage
Die Mutter ehrt ganz still und leise
In echter deutscher edler Weise
An diesem schönen Maientag."
Was die Ehrung der Mutter in „in echter deutscher edler Weise" in der Praxis bedeutet, lernte der Erzähler vom Kind:
"Des Kindes Seele tat mir kund,
Daß man im Land zu dieser Stund
Der Mutter denkt in B-l-u-m-e-n-s-p-r-a-c-h-e."
Kommt Ihnen das wie ein Werbespott vor? Mir auch. Lesen wir, warum wir ein gutes Gefühl für so was haben.
Nach dem nordamerikanischem Bürgerkrieg, 1865, versuchten Mütter in den USA eine Mütterbewegung zu etablieren. Ziel war: Die Söhne sollten nicht mehr in Kriegen geopfert werden. In dieser Bewegung spielte der Mothers Day eine Rolle. Die Idee, auf Kriege zu verzichten, setzte sich 1865 nicht durch. Leider. Wir wissen es.
Mehr Erfolg hatte die englische Methodistin Anna Marie Jarvis. Am zweiten Todestag ihrer Mutter, am 12. Mai 1907 veranstaltete sie einen „Memorial Mothers Day Meeting", auf Deutsch etwa einen „Mutter-Gedächtnisstag". Im Jahr darauf widmete die englische methodistische Kirche allen Müttern eine Andacht, wieder am zweiten Sonntag im Mai. Dabei ließ Anna Marie Jarvis 500 weiße Nelken vor der Kirche an Mütter verteilen.
Übrigens müssen wir uns die methodistische Kirche nicht allzu exotisch vorstellen. Es ist eine evangelische Kirche, die eng mit der lutherischen Kirche verwandt ist. In Deutschland besteht zwischen der lutherischen und methodischen Kirche eine Predigt- und Abendmahlsgemeinschaft. Das heißt, Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen in der jeweils anderen Kirche predigen und das Abendmahl feiern. Lutherische und methodistische Geistliche besuchen die gleichen Ausbildungsstätten.
In Deutschland wurde um 1922 der Muttertag aus eher weltlichen Gründen bekannt gemacht. Der Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber warb mit Plakaten „Ehret die Mütter" in ihren Schaufenstern. Es sollte ein Tag der Blumenwünsche sein, betont unpolitisch.
Politisch wurde der Muttertag unter den Nationalsozialisten. Die Mütter sollten die arische Rasse vermehren helfen. Bereits 1933 wurde der Muttertag zum öffentlichen Feiertag erklärt. Der dritte Mai-Sonntag 1934 wurde mit Mütterweihen begangen als "Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter". In diesem Zusammenhang wurde in der Reichsfrauenführung der Reichsmütterdienst eingeführt.
In der BRD wurde 1950 der erste Muttertag gefeiert. In der DDR beging man statt dessen den Internationalen Frauentag am 8. März. Weltweit werden je nach Land die Muttertage vom zweiten Sonntag im Februar in Norwegen bis zum 22. Dezember in Indonesien gefeiert. In den meisten Ländern jedoch am zweiten Sonntag im Mai.
Ein gesetzlicher Feiertag war und ist der Muttertag in der BRD nicht. Seit 1949 wird je nach Bundesland und Lobby-Verband verhandelt und geregelt, ob und wenn ja, wie lange, Blumenläden und andere Geschäfte am zweiten Sonntag im Mai geöffnet haben dürfen. Sogar auf den zweiten Sonntag im Mai einigten sich die Verhandlungspartner erst 2008.
Der Muttertag hat eine hohe wirtschaftliche Bedeutung. Laut der Agrarmarkt Informationsgesellschaft mbH wurden 2011 in der Muttertagswoche rund 175 Millionen Euro für Schnittblumen und Zimmerpflanzen ausgegeben. (Quelle: Webseite des Fachverbandes Deutscher Floristen, 7. Mai 2013, 16.52 Uhr)
Wir Deutschen ehrten auch schon vor 1922/23 unsere Mütter, ohne die Reklame von Blumenladenbesitzern, ohne Anregungen aus Amerika, ohne völkischen Mummenschanz. Das zeigen uns Friedrich Wilhelm Kaulisch (1827-1881) und andere deutsche Dichterinnen und Dichter.
Wenn Du noch eine Mutter hast...
Wenn Du noch eine Mutter hast
so danke Gott und sei zufrieden
nicht allen auf dem Erdenrund
ist dieses hohe Glück beschieden.
Sie ist dein Sein, sie ist Dein Werden
sie ist Dein allerhöchstes Gut
sie ist Dein größter Schatz auf Erden
der immer Dir nur Gutes tut.
Sie hat von ersten Tage an
für dich gelebt, in bangen Sorgen
sie brachte abends dich zur Ruh
und weckte küssend dich am Morgen.
Und warst du krank, sie pflegte dich
die dich in tiefem Schmerz geboren
und gaben alle dich schon auf
die Mutter gab dich nie verloren.
Wenn Du noch eine Mutter hast
dann sollst Du sie in Liebe pflegen
daß sie dereinst ihr müdes Haupt
in Frieden kann zur Ruhe legen.
Und hast Du keine Mutter mehr
und kannst du sie nicht mehr beglücken
so kannst du doch ihr frühes Grab
mit frischen Blumenkränzen schmücken.
Ein Muttergrab, ein heilig Grab!
Für Dich die ewig heil'ge Stelle!
Oh, wende Dich an diesen Ort,
wenn dich umtobt des Lebens Welle.